Religion – Dharma

12.12.2016

Ich möchte diese zwei Begriffe Religion und Dharma definieren und die Ähnlichkeiten und Unterschiede herausarbeiten. Religion ist im westlichen Kontext gebräuchlich, Dharma in den östlichen Philosophien.

Religion

Definition

„Das Ergriffenwerden vom Göttlichen, das überwiegend in Glaubensgemeinschaften, den geschichtlichen Religionen, seine Ausdrucksform findet. … relegere – gewissenhaft beobachten und religari – an Gott gebunden sein“.(Zitiert nach DTV Lexikon Bd. 15, S. 131)

Eine Religion bietet einen Rahmen für eine eigene Lebensanschauung und ethische Richtlinien für die Gesellschaft

Religion – institutionelle Organisation (Kirche), religiöse Empfindung

William James, ein früher Religions-Psychologe, gliedert Religion in zwei Teile:

  1. Die institutionelle Religion reflektiert mehr auf die Gottheit und umfasst u. a. Lehrsätze, Zeremonien und die kirchliche Organisation.
  2. In der persönlichen Religion steht die innere Stimmung des Menschen im Mittelpunkt , d.h. seine Gefühle, sein Gewissen und seine Unvollkommenheit. Die religiöse Lehre bietet ihm den Rahmen für Handlungen, die aus persönlichen Beweggründen durchgeführt werden.

Dharma

Die indischen Religionen sprechen nicht von Religion, was aus dem lateinischen kommt, sondern von Dharma.

Definition

Dharma kommt von dem Sanskrit Verb dhru – das was dich hält, um nicht zu fallen.

Der Bedeutungshof ist mal wieder riesig. Ich wähle die Übersetzung aus dem Lexikon von Suddhar Sāgar, einem Hindi – Englisch Lexikon der Jains.

  • Tugend – das was einen zu dem gewünschten Ziel bringt ist Tugend.
    Das was uns Freundlichkeit, Achtung zu allen Lebewesen einprägt ist Dharma
  • Tugend oder Pflicht – höchste Nachsicht, Bescheidenheit, Aufrichtigkeit, Reinheit, Wahrheitsliebend, zurückhaltend, Asketisch, Entsagend, ohne Verhaftung (Attachment), Enthaltsam.
  • Pflicht, ein beschriebener Weg zur Füllung
  • Natur, Charakter
  • Moralität, Ethik
  • Das was uns daran hindert in Ego, Neid und ähnliches zu fallen und was uns an unsere wahre Natur erinnert ist Dharma. Es hilft uns unser Leben von der Mitte her zu führen und nicht von Äußerlichkeiten. Dharma ist die Erkenntnis in die wirkliche Natur der Dinge.

In der Praxis sind auch hier Glaubensätze, ethische Richtlinien und Rituale zu finden. Auch im indischen Dharma finden sich sehr orthodox orientierte Menschen bis hin zu einer sehr liberalen Auslegung der Schriften.

Gemeinsamkeiten von Religion und Dharma

Um das Lesen zu vereinfachen werde ich für die weitere Ausführung nur das Wort Religion verwenden, auch wenn sowohl westliche Religion als auch östliches Dharma gemeint ist.

Zusammenhang von Philosophie und Religion

Viele Fragen des Lebens werden in einer Religion gestellt und es wird der Versuch unternommen sie zu beantworten. Zentral sind immer folgende Fragen:

  • Woher kommen wir? Dies schließt die Schöpfung ein, die in Form von Mythen in jeder Religion zu finden ist.
  • Wohin gehen wir? Was erwartet uns nach dem Tod?
  • Wie können wir glücklich werden?
  • Was ist der Sinn des Lebens?
  • Was ist gut – was ist böse?

Religionspsychologische Aspekte

Nach William James gibt es folgende charakteristische Merkmale religiöser Lebensanschauung:

„Die sichtbare Welt ist ein Teil eines höheren geistigen Universums, und erst durch dieses erhält sie ihren eigentlichen Sinn.

Vereinigung mit jener höheren Welt oder eine harmonische Beziehung zu ihr ist unser wahres Ziel.

Das Gebet oder die innere Gemeinschaft mit dem Geist jener Welt – werde er persönlich oder unpersönlich vorgestellt – ist ein Vorgang von objektiver Realität; es findet ein Einströmen geistiger Kraft in die Erscheinungswelt Statt, und es werden dadurch bestimmte Wirkungen – psychologischer oder materieller Art – hervorgerufen.“

(James, 1997, S. 445)

Weitere Aspekte einer Religion

Eine Religion kann zu neuer Lebensenergie und einem neuen Lebensgefühl führen. Ein Ausdruck dessen findet sich in der Kunst. Denken wir nur an die vielen Kirchen oder Tempel mit ihren Kunstschätzen.

Eine Religion kann zu einem Gefühl des Geborgenseins und des inneren Friedens führen. Dies zeigt sich im Umgang mit anderen und mit der Umwelt.

Das Göttliche kann nur durch eine Gruppe von Eigenschaften, nicht durch eine einzelne Eigenschaft ausgedrückt werden. Deshalb ist es möglich, dass die unterschiedlichen Charaktere der Menschen verschiedene religiöse Ausdrucksformen finden. Z.B gibt es den Schlachtergott, den Gott des Friedens oder auch für den Pessimisten die Religion der Erlösung.

Für alle Religionen gilt

Eine Weltreligion ist so weit gefasst, dass sich daraus jeder, entsprechend seinem Charakter, seinen Neigungen und seiner Lebensphase sein „Kuchenstück“ heraussuchen kann. Dies ist nicht ein Mangel, sondern unsere Transfer-Leistung. Dies ist das, was eine institutionelle Religion, zu unserer persönlichen Religion macht. Dadurch erleben wir gelebte Religiosität.

Es ist also ein natürlicher Prozess, dass man in einer Religion oder Philosophie einen bestimmten Fokus hat, der unterschiedlich ausgeprägt sein kann und der sich auch im Laufe eines Lebens verändert. Dieses Wissen führt zu großer Toleranz. Denn nicht nur wir nehmen uns die Freiheit heraus bestimmte Aspekte zu betonen, sondern wir müssen dieses Recht auch allen anderen einräumen.

Zum Weiterlesen

James William, Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Insel Taschenbuch, 1997 (Orginal 1902)