Gedanken zum Thema Scham

24.09.2018

Das Thema Scham beschäftigt mich schon eine Weile – ein schwieriges Thema, mit dem ich sicher noch lange „schwanger gehen“ könnte, wollte ich es sehr umfangreich behandeln. So ist dieser Blog eher als Anregen gedacht, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Als ich neulich im Garten saß, fragte meine Nachbarin: „Brütest du wieder über deinen Blog?“ So kamen wir zum Thema Scham und es entspannte sich beim Heckeschneiden immer wieder ein Gespräch zu dem Thema. Ein spannender Nachmittag!

Definition

Wikipedia definiert Scham folgendermaßen:

„Scham ist ein Gefühl der Verlegenheit oder der Bloßstellung, das durch Verletzung der Intimsphäre auftreten kann oder auf dem Bewusstsein beruhen kann, durch unehrenhafte, unanständige oder erfolglose Handlungen sozialen Erwartungen oder Normen nicht entsprochen zu haben.“

Durch diese Definition wird deutlich, dass zum Empfinden der Scham andere Menschen notwendig sind. Dabei geht es nicht primär um eine reale Beurteilung oder Verurteilung durch Andere, sondern meist ist es viel wichtiger, was ich denke, dass die Anderen denken oder reden. Es findet also in der Scham häufig eine eigene Beurteilung oder Verurteilung statt, die nach außen projiziert wird.

Kultureller Aspekt der Scham

Scham gibt es in jeder Kultur und jeder Epoche, jedoch sind die Schamgrenzen kulturell und auch zeitlich unterschiedlich. Denken wir an das 19 Jahrhundert, in dem es für eine Frau schon schamlos war, das Fußgelenk unter dem Rock herausschauen zu lassen und dem Minirock, der seit den 60ern getragen wird.

Das Gefühl der Scham

Das Gefühl der Scham gibt es in unterschiedlicher Intensität. Die deutsche Sprache spricht von Verlegenheit, wenn ein geringes Gefühl der Scham vorhanden ist, Peinlich ist schon etwas stärker und in der Scham ist unsere ganze Persönlichkeit von diesem unangenehmen Gefühl betroffen.

Scham ist ein unerträgliches Gefühl, oft stärker als Schmerz, Angst und Trauer. Demzufolge versuchen wir dieses Gefühl zu vermeiden. So starkes Schamgefühl ist negativ und einschränkend. Es behindert unseren Kontakt zu Anderen und unsere Kreativität. Dabei sehnen wir uns in Momenten der Scham am meisten nach Kontakt und sind nicht in der Lage ihn aufzunehmen.

Positive Seite des Schams

Wir erwarten nicht, dass wir Scham auch einen positiven Aspekt abgewinnen können. Aber dazu müssen wir an seine Ursprünge gehen.

Wir haben einen innersten Wesenskern, der in der Kindheit noch gänzlich offen liegt, den wir aber schützen müssen. Durch die natürliche Scham lernen wir diesen innersten Wesenskern zu schützen. Dazu brauchen wir schon in der Kindheit eine Rückzugsmöglichkeit und die Möglichkeit unserem Bedürfnis nach Nähe und Distanz nachzugehen.

Die frühere, leider auch heute noch manchmal zu beobachtende, Erziehungsmaßnahme der Beschämung führt zu mehr Scham, der uns auch später im Kontakt behindert.

Arten der Scham

Es gibt verschiedene Arten der Scham, die uns selbst betreffen und welche, die Andere oder Gruppen betreffen.

Körperscham

Das Betrifft unseren Körper, zu dick, zu groß, zu viel oder zu wenig Busen, Muskeln etc. Über die Medien wird eine Körpernorm verbreitet, der unser eigener Körper niemals entsprechen kann. Ohne ein genügendes Selbstwertgefühl, kommt es dadurch zu Scham über den eigenen Körper.

Sozialscham

Sozialscham ist das Gefühl, dass wir uns im Umgang mit Anderen nicht richtig verhalten haben. Wir vergleichen uns mit den Anderen und denken, dass diese alles richtig machen.

Identitätsscham

Wenn wir das Gefühl haben nicht so sein zu dürfen, wie wir sind, werden wir uns nicht dazugehörig fühlen, obwohl wir dazu gehören. Z.B. zu einer Familie, zu einer Peergruppe. Besonders gravierend wird das, wenn wir das Gefühl haben nicht existieren zu dürfen.

Der Gegenspieler zu Scham ist Stolz. Wird uns unser Stolz ständig genommen, sinkt unser Selbstwertgefühl und wir werden uns leichter schämen.

Fremdscham

Ein Beispiel für auftretenden Fremdscham wäre, wenn wir in einem öffentlichen Park ein Liebespaar beim Sex beobachten. Unsere Reaktion wird Wegschauen sein. Es ist der Versuch, durch nicht Sehen, es für uns ungeschehen zu machen.

Kollektivscham

Stolz und Scham ist nicht auf das Persönliche begrenzt, sondern bezieht sich auf eine Gruppe oder Gesellschaft. Da wir ein tiefes Bedürfnis haben zu einer Gruppe zu gehören, möchten wir auf diese auch stolz sein. Ist dies nicht möglich, wie es z.B. lange Zeit nach dem 2. Weltkrieg für Deutschland und die Deutschen galt, entsteht Scham über die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe.

Frauenscham und Männerscham

Durch die patriarchale Gesellschaft entstand ein Frauenbild und Männerbild, das erst in den letzten 40 Jahren aufgeweicht wurde. Aus dieser Tradition heraus sind die Themen, über die sich Frauen und Männer schämen, unterschiedlich.

Frauen schämen sich eher wegen ihrem Körper, der Körperbehaarung am „falschen“ Fleck. Die starke Frau hat es immer noch schwer, sie hat „Haare auf den Zähnen“, ist ein Mannweib…. Andererseits ist die „nur Hausfrau“ nicht geachtet. Überhaupt, Geringschätzung, Missachtung und Gewalt, sowohl in subtiler Form oder in direkter Gewalt, führt über ein verringertes Selbstwertgefühl zu Scham.

Das Männerbild als „starker Held“ wiederum lässt Themen wie Weinen, Sensibilität und ähnliches mit Scham besetzen. Männer müssen Leistung erbringen, hart und stark sein. Als Junge dürfen sie ihrem Bedürfnis nach Nähe nicht wirklich nachgeben.

Zum Glück sind die oben gezeichneten Klischees nicht mehr voll in allen Gesellschaftsschichten gültig, aber bis wir sie gänzlich überwunden haben, wird es noch längere Zeit brauchen.

Zum Weiterlesen

Victor Chu, Brigitta de las Heras, Scham und Leidenschaft, Zürich, 1994