Gestalttherapie Teil 1

27.11.2017

In diesem Blog möchte ich einen kurzen Einblick in die Entstehung und Arbeitsweise der Gestalttherapie geben. Sie ist eine der Grundlagen meiner therapeutischen Arbeit.

Geschichte

Gegründet wurde die Gestalttherapie in den 40er, 50er Jahren des 20. Jahrhunderts von Fritz Perls und seiner Frau Lore Perls. Sie waren Psychoanalytiker der dritten Generation, die vor den Nazis über Südafrika nach Amerika emigrierten. Beeinflusst wurden Sie durch verschiedene geistige Richtungen, wie Psychoanalyse, Existenzphilosophie, Gestaltpsychologie, Zen-Buddhismus, Psychodrama und der Humanistische Psychologie.

Die Gestalttherapie gehört zur Humanistischen Psychologie und zu den hermeneutisch – phänomenologischen (erklärend – ganzheitlichen), erlebnisaktivierenden Therapieverfahren. Also einer Therapie, die ihre Erkenntnisse durch unmittelbar Ereignisse und Erfahrungen gewinnt.

Es gibt kein einheitliches Theoriegebäude, denn die Freiheit und Spontanität des Individuums steht immer im Vordergrund.

Wichtige Begriffe

Setting

Mit dem Setting ist sowohl die räumliche Gegebenheit, als auch die Einstellung gegenüber dem zu Therapierenden gemeint.

In der Gestalttherapie wird der Hilfesuchende als Klient bezeichnet. Dies ist Ausdruck einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Therapeut und Klient begegnen sich auf Augenhöhe.

Es ist immer ein sitzendes Setting, bei dem sich die Stühle gegenüber stehen. Die Sitzungsfrequenz ist einmal die Woche oder seltener. So wird keine Regression gefördert.

Dies war damals, als die Psychoanalyse die vorherrschende Therapieform war, eine grundlegende Neuerung. Die Psychoanalyse hat traditionell einen liegenden Patienten, so dass der Patient den Therapeuten nicht sieht. Dies ist auch heute in der Psychoanalyse noch häufig zu finden.

Arbeiten im Hier und Jetzt

Wichtig für die Gestalttherapie ist die Arbeit im Hier und Jetzt.

Die Vergangenheit ist insofern bedeutsam, da wir oft unabgeschlossene Gestalten, d.h. ungelöste frühere Ereignisse mit uns tragen, die unser heutiges Leben beeinflussen und zu Kontaktunterbrechungen führen. Ziel einer Therapie ist es, möglichst viele dieser unbeendeten, früheren Ereignisse abzuschließen und ihnen dadurch keinen Einfluss mehr auf unser heutiges Leben einzuräumen.

Kontaktprozess

Der Kontakt nimmt eine zentrale Rolle in der Gestalttherapie ein. Der Kontakt, bzw. die Störungen des Kontaktes, des Klienten zu Freunden oder Arbeitskollegen etc. wird beleuchtet. Es wird der Frage Nachgegangen, wo bereitet ein Kontakt Schwierigkeiten, wie wird mit Konflikt umgegangen, wie sorgt der Klient für sich und seine Interessen. Dabei spielt der Kontakt zwischen Klienten und Therapeuten eine beispielhafte Rolle.

„Der Kontaktprozess umfasst die Wahrnehmung des Neuen in der Umwelt, die Unterscheidung zwischen Assimilierbarem und Nicht-Assimilierbarem, die Bewegung zum assimilierbaren Neuen hin sowie die Einverleibung des Neuen und seine Assimilation.“ (Dreitzel, S.36) Aus der Aufnahme von Neuem erfolgt Wachstum und Wachstum heißt Leben.
Mit dem Kontaktprozess selbst werde ich mich in einem weiteren Blog ausführlich befassen.

Das Selbst

Das Selbst wird in der Gestalttherapie als ein Prozess gesehen. Der eigene Körper, die Umwelt und was im Vordergrund oder Hintergrund steht, gestaltet diesen Prozess. Das Selbst entsteht und wächst nur durch ständig neue Kontakte.

Figur – Hintergrund

Am Beispiel der Kippbilder lässt sich das Phänomen Figur / Hintergrund am leichtesten verstehen. Je nach Fokus sehen wir in dem Bild dieses Links eine Alte Frau oder ein junges Mädchen!

Figur ist alles, was sich vom Hintergrund abhebt, dadurch dass es in den Fokus unseres Interesses, bzw. Bedürfnisses gelangt. Dies ist ein dynamischer Prozess. Wenn eine Gestalt geschlossen ist, d.h. das Bedürfnis befriedigt ist, gelangt es in den Hintergrund und macht Raum für Neues.

Zum Beispiel gelangt der Kühlschrank und sein Inhalt sobald ich hungrig bin in den Vordergrund meines Bewusstseins, dies ist die Figur. Sobald ich meinen Hunger gestillt habe, verschwindet der Kühlschrank samt seines Inhalts wieder aus dem Fokus meiner Aufmerksamkeit – er geht in den Hintergrund.

Widerstand und Übertragung aus der Perspektive der Gestalttherapie

Widerstand

Der Widerstand wird als eine Energie der Persönlichkeit gesehen, den der Klient als Beistand erlebt. Sie soll respektiert und berührt werden. Wird der Klient mit dem Widerstand, wie in der Psychoanalyse konfrontiert, hat er nur die Möglichkeit mit Aggression oder Anpassung zu reagieren.

Schwierig wird Widerstand nur in einer Starrheit. „Wenn wir beim Vergleich mit der Burg bleiben, dann können wir den pathologischen Widerstand mit verschlossenen Toren vergleichen (deren Schlüssel zudem verlegt worden ist), totales Fehlen von Widerstand entspräche den Löchern in der Mauer, die entsteht, wenn man die Tore vollständig entfernt.“ (Perls, Das Ich, der Hunger und das Selbst, S. 184) Es geht um die Elastizität der Widerstände.

Übertragung

In der Gestalttherapie, wie in jeder Beziehung, gibt es Übertragung. Sie wird in der Gestalttherapie als Selbsttäuschung des Klienten angesehen. Es ist eine Konstruktion des Klienten, der seine eigene Wahrheit, die durch frühere Erfahrung beeinflusst ist, erzeugt. Dies passiert, da er die Wahrnehmung des anderen nicht berücksichtigt.

Die Gestalttherapie begegnet diesem durch Arbeit am Kontakt und den Kontaktunterbrechungen. Es ist nicht die Deutung des Therapeuten bestimmend, sondern die gemeinsame Arbeit.

Methoden in der Gestalttherapie

Arbeiten in der Gegenwart

Das Hier und Jetzt steht im Mittelpunkt. Wobei das Jetzt alles ist, was ich im Moment gewahr bin. Die Vergangenheit fließt durch unsere Lebenserfahrung, Erinnerung, Gewohnheiten und nicht abgeschlossene Handlungen usw., in die Gegenwart mit ein. Die häufig gestellte Frage „Was erlebst du jetzt?“ bezieht sich auf alle Ebenen, also die körperliche, emotionale und intellektuelle Ebene, wobei der emotionalen Ebene besondere Bedeutung zu kommt.

Awareness – Bewusstheit – Gewahrsein

Diese drei Worte werden synonym benutzt. Gewahrsein ist ein kontinuierlicher Prozess des Klienten, den er jederzeit praktizieren kann. Er findet in der Gegenwart statt. Im Vordergrund stehen dabei Fragen, die mit Was, Wie und Wo beginnen und sich nicht so sehr mit dem Warum beschäftigen, das in der psychoanalytischen Interpretation betont wird.

Das Experiment

Im Experiment wird, im geschützten Rahmen der Therapie, eine sichere Notfallsituation erzeugt, in der der Klient Kontakt anders erleben kann. Damit erlernt er neue Handlungsmöglichkeiten.

Zum weiterlesen

Dreitzel, Hans Peter; Reflexive Sinnlichkeit; EHP, Köln 1992

Jaeggi, Eva; Rohner, Robert; Wiedemann, Peter; Gibt es auch Wahnsinn, hat es doch Methoden; Piper, München 1990

Perls, Frederick; Das Ich, der Hunger und die Aggression; Klett-Cotta, Stuttgart 1985