Gewohnheiten Teil 2

09.09.2019

Wie entstehen Gewohnheiten

Vieles lernen wir auf verschiedene Weisen im Laufe unseres Lebens.

Westliche Lernmodelle

Reiz-Reaktionskopplung

Das berühmteste Beispiel ist der Pavlowsche Hund, dessen Fressen durch einen Glockenschlag eingeleitet wurde. Nach längerem lernen bekam er schon nur durch den Glockenschlag einen Speichelfluss, der das Fressen für ihn innerlich vorbereitete.

Lernen durch Konsequenz

Dies ist lernen durch Erfolg oder Misserfolg und heißt Vermeidungslernen. Hierzu gehört Belohnung oder Bestrafung. Sie kann sowohl intern, also aus mir selbst heraus, oder extern, durch andere (Eltern, Lehrer..), erfolgen.

Lernen am Modell

Dieses Lernen setzt ganz früh ein und ist viel stärker, als wir denken und wahr haben wollen. Am leichtesten ist dies an Körperhaltung zu beobachten. Ich beobachtete mal einen Vater der mit seinem zweijährigen Sohn durch den Garten ging. Der Sohn hatte schon die gleiche Haltung und Gang, wie der Vater!

Lernen durch Selbstverstärkung

Gerade bei Erwachsenen führt die langfristige „eigene Belohnung“ zu zusätzlicher Anstrengung und längerem Durchhaltevermögen. Als Erwachsene muss die Belohnung nicht direkt nach dem Ereignis erfolgen, sondern wir können eine Verzögerung in Kauf nehmen. Z.B. strengen wir uns beruflich an, um zu einem späteren Zeitpunkt eine Beförderung zu erhalten.

Entstehen von Gewohnheiten nach östlicher Sicht

Gewohnheiten entstehen, da jede Bewegung des Geistes im Gehirn eine Spur hinterlässt. Aus ausgetretenen Pfaden entstehen Gewohnheiten. Dies sind so zu sagen die „Autobahnen“ im Kopf.

Man kann diese Prozess in Unterschritte unterteilen. Die Sanskritbegriffe lass ich zum besseren Verständnis weg.

Am Beispiel einer Bäckerei am Straßenrand, aus der es verführerisch duftet, erläutere ich die Unterschritte.

  1. Die Wahrnehmungsorgane melden Kuchen in der Bäckerei.
  2. Die Wahrnehmungen werden ausgewertet.
  3. Das Ergebnis der Auswertung heißt: „Ich habe Hunger.“
  4. Die Reaktion wird vorbereitet und wir lenken unsere Schritte zur Bäckerei.
  5. Dadurch identifizieren wir uns noch mehr mit dem Hunger.
  6. Haben wir jedoch vor kurzem die Entscheidung getroffen, vier Wochen keine Kuchen zu essen, wird sich unser Verstand einschalten. Damit ist der Automatismus durchbrochen. Wir reflektieren und gehen aus dem Laden hinaus.
  7. Damit sehen wir unsere Bedürfnisbefriedigung bedroht und der Appetit nimmt ins unendliche zu.
  8. Unser Verstand kämpft mit den verschiedenen Instanzen, zwischen dem Hunger, Gelüsten und den guten Vorsätzen.

Nur die Beobachterinstanz ist in der Lage die eingeschliffenen Wahrnehmungs-und Verhaltensmuster zu beobachten und ggf. zu verändern.

In den östlichen Philosophien wird die Bewegung des Geistes (Denken, Fühlen) zum Handeln hinzu gerechnet, ja als besonders wichtige erachtet, da sie erst das Handeln ermöglicht. Im Westen beginnt das Handeln beim Tun und Agieren.

Daher ist die Gewohnheiten des Denkens und die Schulung des Denkens in der östlichen Philosophie von zentraler Bedeutung.

In der östlichen Philosophie gilt die Meditation als Schulung des Denkens. Daher kommt ihr eine besondere Bedeutung zu. Veränderung ist damit durch Meditation möglich.

Ich sehe dies als westliche Psychologin und durch meine langjährige Erfahrung anders. Oft hat mir Gurudev Shree Chitrabhanu gesagt, ich solle nicht so viel in meiner Vergangenheit suchen, sondern meditieren, dann würden sich die Probleme lösen. Wir waren uns darüber einig, dass auf keinen Fall die Probleme unter den Teppich gekehrt werden dürfen. Aber über den Weg waren wir uns nicht einig. Ich denke leichtere Probleme und aktuell entstandene Probleme, kann man alleine durch Meditation lösen. Wobei sich bei näherem hinschauen oft herausstellt, das das aktuelle Problem doch seinen Ursprung in der Kindheit hat. Bei schwerwiegendere Probleme und solche, die ihren Ursprung in der Kindheit haben, ist eine psychotherapeutische Unterstützung sinnvoll.

In Indien hat man einen Guru, der bei Fragen zum eigenen Leben und Problemen zur Unterstützung da ist. Ich durfte das an mir selbst erleben und habe es in den unendlich vielen Stunden, die ich bei Gurudev verbrachte an anderen Menschen erlebt. Meist habe ich von dem, was er mit anderen gesprochen hat nicht verstanden, da es in Gujarati oder Hindi gesprochen wurde, aber ich durfte immer den Prozess beobachten. Egal welches Anliegen die Personen hatten, gingen sie vielleicht nachdenklich aber zufrieden nach Hause. Ich bin für diese Erfahrung und was ich dadurch lernen konnte sehr dankbar.

Veränderung im Yoga Kontext

Innere Achtsamkeit

Innere Achtsamkeit ist eine Voraussetzung fürs Yoga. Durch innere Achtsamkeit wird eine Zentrierung, eine deutlichere Wahrnehmung der inneren Welt erzeugt. Es ist ein Ziel des Yogas, eine nicht bewertende, zulassende Haltung sich selbst gegenüber einzunehmen. Es tritt eine Verschiebung der Wahrnehmung vom Groben zum Feinen ein und eine Stärkung der Beobachterinstanz.

Entscheidungsphase

Verhaltensmuster fallen mehr auf, dadurch ist eine Entscheidung an ihnen zu arbeiten und sie zu verändern möglich. Aber auch die Frage wird aufgeworfen, ob wirklich eine Verhaltensänderung gewünscht ist oder ist eine Änderung der Einstellung gegenüber mir selbst für mich sinnvoller. Soll ich z.B. 5 kg abnehmen, oder mich endlich so akzeptieren, wie ich bin?

Selbststudium

Nur Verhaltensmuster, die ich als meine eigenen anerkenne und damit Verantwortung übernehme, kann ich verändern. Dazu muss ich einerseits mein Verhalten beobachten und andererseits mir selbst gegenüber ehrlich sein. Das ist wirklich schwierig!

Aufbau konstruktiver Verhaltensweisen

Eine erhöhte Selbststeuerung ist notwendig, um alternative Verhaltensweisen einzuüben. Dazu müssen wir unsere Verhaltensweisen und das dazugehörige innewohnenden Belohnungssystem beobachten. Oft muss man eine neue Belohnungen dagegen setzten.

Folgende Fragen ergeben sich daraus: Womit kann ich meine gewohnte Belohnung ersetzen. (Tausche Kuchen gegen??) Wodurch kann ich sonst entspannen, wenn nicht durch Fernsehen? Was kann ich machen, wenn die Zigarette eigentlich nur eine Beschäftigung für die Hände ist? Welche alternativen Verhaltensweisen sind möglich (Stricken, Mantra, um von ständigen Grübeleien weg zu kommen)

Es gibt nur Individuelle Lösungen! Auch ist die Lösung von gestern ist vielleicht nicht mehr die richtige für heute und muss modifiziert werden.

Yoga und Belohnung

Yoga ist oft erst anstrengen, erfordert Überwindung, aber hat für den Körper so positive Effekte – eine Belohnung, so dass es trotz Überwindung meist durchgehalten wird. Ebenso ist es mit der Meditation, die ein Belohnungssystem in sich hat. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Autogenes Training nicht so gut durchgehalten wird.

Jenseits der Lerngesetze

Das Bedürfnis sich zu verändern und nach etwas zu streben hängt mit dem Lebensgefühl zusammen. Werde ich gelebt, habe ich keine Freiheiten, dann ist die Motivation geringer etwas zu verändern. Habe ich eine positive Einstellung zum Leben, habe ich Lebensziele und Lebensinhalte, werde ich mehr an einer Veränderung arbeiten, die mich diesen Zielen näher bringt. Yoga ist ein Weg, sich Lebenszielen und Lebensinhalten bewusster zu werden und selbst zu beobachten, ob mich Verhaltensweisen diesem Ziel näher bringen, oder davon weg bringen.

Zum Weiterlesen

Blog Gewohnheiten Teil 1

Carsten Unger, Katrin Hofmann-Unger, Yoga und Psychologie, 1999, Verlag ganzheitlich leben.