Religionspsychologie – Einführung

06.08.2018

Im Rahmen meiner Diplomarbeit habe ich mich intensiv mit Religionspsychologie beschäftigt. Dieser Blog basiert meiner damaligen Arbeit.

Definitionen

Religion

Als Religion bezeichnet das DTV Lexikon „Das Ergriffen werden vom Göttlichen, das überwiegend in Glaubensgemeinschaften, den geschichtlichen Religionen, seine Ausdrucksform findet“ Der Ursprung ist in folgenden lateinischen Wörtern zu finden: relegere bedeutet gewissenhaft beobachten und religari heißt an Gott gebunden sein.

Philosophie

Folgende Definition bietet das DTV Lexikon an. Die Philosophie ist die „Liebe zur Weisheit, das Streben des menschlichen Geistes, das Wesen und die letzten Zusammenhänge des Seins, die gültigen Werte und damit die Grundsätze der Lebensführung und Daseinsgestaltung zu erkennen. Wegen ihres Einflusses auf Religion, Dichtung, Erziehung, politische Ideenbildung, Natur- und Geisteswissenschaften ist die Philosophie. eine der großen Geistesmächte.“

Religionspsychologie

Als Teilgebiet der Psychologie, der Religionswissenschaft und der Theologie erforscht die Religionspsychologie die persönlichen Strukturen des religiösen Bewusstseins. Es geht also insbesondere um Glaubensweisen und Religionsinhalte, wie Gottesvorstellung, Weltverständnis, Mythologie und ähnliches.

Die Forschung kann nicht unabhängig von der religiösen Einstellung des Forschers sein, deshalb ist es wichtig verschieden Ansichten zu betrachten. Dieser Blog ist als Denkanregung gedacht und erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige Betrachtungsweise.

Verschiedene religionspsychologische Forscher

William James

Ein früher Forscher in der Religionspsychologie war Williams James. Er Hat sein Buch 1907 veröffentlich, aber es ist bis heute gültig und spannend. Für ihn gibt die Religion dem Leben einerseits einen neuen Reiz, wie es u.a. auch in der Liebe geschieht, andererseits macht sie Notwendiges, wie Entsagung oder Opfer leichter und angenehmer.
William James stellt drei charakteristische Merkmale religiöser Lebensanschauung auf.

Die sichtbare Welt ist ein Teil eines höheren geistigen Universums und erst durch dieses erhält sie ihren eigentlichen Sinn.

Vereinigung mit jener höheren Welt oder eine harmonische Beziehung zu ihr ist unser wahres Ziel.

Das Gebet oder die innere Gemeinschaft mit dem Geist jener Welt, egal ob man sich ihn persönlich oder unpersönlich vorstellt, ist für jeden eine objektive Realität. Es findet ein Einströmen geistiger Kraft statt, durch die bestimmte Wirkungen, psychologischer oder materieller Art, hervorgerufen werden.

Daneben umfasst Religiosität zwei psychologische Merkmale. Zum einen bekommt der Mensch neue Lebensenergie, die sich in der Kunst oder Ethik Ausdruck verschafft. Zum Anderen entsteht das Gefühl des Geborgenseins und des inneren Friedens. Dies zeigt sich z.B. im Umgang mit anderen Menschen.

Das Göttliche kann nur durch eine Gruppe von Eigenschaften und nicht durch eine einzelne Eigenschaft ausgedrückt werden. Deshalb ist es möglich, dass die unterschiedlichen Charaktere der Menschen innerhalb einer Religion verschiedene religiöse Ausdrucksformen finden können.
So braucht einer einen Schlachtergott, der andere einen Gott des Friedens, der Pessimist braucht eine Religion der Erlösung, vor der aber die Hölle liegt und der Optimist findest durch religiöse Erfahrungen neue Wege zur Glückseligkeit, trotz möglichen äußeren Unglücks.

Freud

Freud sieht die Religion als ein Kulturphänomen, die durch das Bedürfnis sich gegen die erdrückende Übermacht der Natur zu verteidigen, entstanden ist. Er stellt sie grundsätzlich in Frage.

Religiöse Vorstellungen sind für ihn Illusionen und die Projektionen infantiler Wünsche und Ängste, die unbewusste Motive haben. Werden diese Motive aufgedeckt, so wird seiner Ansicht nach eine Religion überflüssig. In diesem Sinne ist Religion heilbar, wie eine Neurose heilbar ist. Der kindliche Konflikt mit den Eltern, Befürchtungen und Wünsche, werden seiner Ansicht nach auf kosmische Ebene projiziert.

Die Religion stärkt das Über – Ich, die innere moralische Instanz. Freud geht es nicht um das Wesen der Religion, sondern um psychologische Inhalte religiöser Vorstellungen. Er sieht keine Entwicklungsmöglichkeiten der Religion und kann sich einen reifen, autonomen Glauben nicht vorstellen.

Die Bedeutung, die Freud der Religion zuschreibt, wird zusammenfassend durch folgendes Zitat deutlich: „…durch gewaltsame Fixierung eines psychischen Infantilismus und Einbeziehung in einen Massenwahn gelingt es der Religion, vielen Menschen die individuelle Neurose zu ersparen.“ (Freud, Das Unbehagen in der Kultur)

Jung

Religion definiert Jung als eine sorgfältige und gewissenhafte Beobachtung des Göttlichen, das eine dynamische Existenz oder Wirkung hat, die nicht von einem Willkürakt verursacht wird.

Religiöse Phänomene sind im kollektiven Unbewussten angesiedelt, das der schöpferische Urgrund der Psyche ist. Im kollektiven Unbewussten, dessen Inhalte objektiv sind, befindet sich der Archetypus „Gott“, als innerer Gott, der deshalb objektiv ist.

Individuation ist das Bestreben unsere innere, Einzigartigkeit zu verstehen. Hierzu müssen wir uns mit den Archetypen auseinandersetzen. Ein bewusster Individuationsprozess ist riskant, da die direkte Begegnung mit den Archetypen die Kräfte der meisten Menschen übersteigt. Dogmen und Riten können unbewusste Inhalte als Projektionen aufnehmen und so während des Individuationsprozesses eine zu große Spannung verhindern.

Gelingt es dem Menschen ein sinnvolles Ganzes zu finden, erleben sie Gott in einer neuen, intensiveren Weise und können deshalb nicht zu den traditionellen Formen des religiösen Lebens zurück.

Jung sieht Religiosität positiv, zur Individuation führend. Im Gegensatz dazu ist für ihn eine einseitige, rationelle Einstellung zum Dasein pathologisch.

Sudén

Für Sudén, einen moderner Religionspsychologen, ist die religiöse Tradition Grundlage seiner Rollentheorie. Er verbindet Wahrnehmungspsychologie mit dem sozialpsychologischen Begriff der Rolle.

Die Wahrnehmung beinhaltet für ihn bereits eine Verarbeitung durch Deutung. Darüber gelangt man auch zu dem Wissen, wie man mit dem Erlebten fertig werden soll.

Die Rolle definiert er als die Totalsumme der Kulturmuster, sie umfasst Haltung, Werte und Verhaltensweisen.

Der Mensch kann sich Rollen, sowohl durch vermittelte Tradition, als auch durch schriftliche, fixierte Tradition aneignen. Indem ein Mensch sich mit einer bestimmten religiösen Rolle identifiziert, nimmt er gleichzeitig die Rolle Gottes auf und antizipiert dessen Verhalten. Dies bestimmt den Referenzrahmen für seine weitere Wahrnehmung und Handlung.

Der Referenzrahmen wird von der ganzen religiösen Gruppe vertreten und ist die wirkliche, sichere Welt, auf die man sich verlassen kann. Durch die Überlieferung der Wahrnehmungsmuster, d.h. der religiösen Erfahrung, ist das Gotteserlebnis reproduzierbar. Innerhalb einer religiösen Tradition werden eine Vielzahl von Rollen für alle möglichen Situationen bereitgestellt.

Zusammenfassung

Die einzelnen Forscher sehen die psychologische Bedeutung der Religion verschieden. Außer Freud, der Religiosität pathologisch sieht, gehen die anderen Forscher von einem positiven Effekt einer religiösen Lebensausrichtung auf die Persönlichkeitsentwicklung aus.

Für mich am verständlichsten und spannesten ist das Buch von William James.

Zum Weiterlesen

James William, Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Insel Taschenbuch, 1997 (Orginalausgabe1902)