Definition
„Durch Vergebung verzichtet eine Person auf den Schuldvorwurf und auf ihren Anspruch der Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts, ohne die erlittene Verletzung zu relativieren oder zu entschuldigen. Vergebung ist ein vorwiegend innerseelischer Prozess, der unabhängig von Einsicht und Reue des Täters vollzogen werden kann. Durch Vergebung befreit sich die verletzte Person aus der Opferrolle. Sie ist nicht mehr nachtragend. Die Tat kann nicht ungeschehen gemacht werden; aber die verletzte Person kann besser mit den Folgen leben.“ (wikipedia)
Energieverlust durch Groll
Es gibt ein schönes Beispiel aus dem Buch „Die Kunst zu verzeihen“. Das Gefühl des Grolls wird mit einem immer in der Landeschleife verbleibenden Flugzeugs verglichen. Für die Fluglotsen bedeutet es zusätzliche Arbeit immer auf dieses Flugzeug zu achten, das da permanent den Luftraum blockiert. Dieses Flugzeug des Grolls verschlingt Platz und Kapazität und erhöht die Gefahr von Zwischenfällen, da der Fluglotse es immer im Auge behalten muss.
Dieses Beispiel macht deutlich, wie viel Energie und Zeit wir von uns selbst mit diesem Gefühl des Grolls verschwenden. Auch die deutsche Sprache es deutlich: Wir tragen jemanden etwas nach. Wir haben die Last des Tragens, der Andere kommt gar nicht darin vor. Die Gefühle, die wir hegen arbeiten und verletzen uns und nicht die Anderen, die wir damit treffen wollen.
Es liegt nahe, dass wir mit diesen Gefühlen mehr unter Stress stehen und uns physisch und psychisch selbst schaden können. In jedem Fall verschlingen sie unsere Zeit und Energie. Demjenigen, dem diese Gefühle gelten, schaden sie nie.
Vergebung ist nicht:
- Vergebung darf auf keinen Fall mit Vergessen verwechselt werden, wir erinnern uns schon der Begebenheit, aber wir hegen darüber kein Groll mehr.
- Auch die volle Verantwortung für die Tat behält der Täter. Dies gilt in jedem Falle für juristische Konsequenzen, aber auch für jegliche andere Folgen, die aus dieser Tat entstehen.
- Die Tat wird durch Verzeihen nicht entschuldigt, nicht verharmlost oder geleugnet.
- Verzeihen bedeutet nicht unbedingt eine Versöhnung mit dem Täter.
Opferrolle
Wir begeben uns mit den Gefühlen von Groll, Hass in die Opferposition. Fühlen wir uns als Opfer, sind wir in dem Bereich, in dem wir uns so fühlen, nicht mehr handlungsfähig. In der Opferrolle geben wir dem Täter Macht über uns.
Wie häufig sind langjährige Ehepartner ein eingespieltes Team sich gegenseitig auf die Palme zu bringen und sich gegenseitig in Wut und Ärger zu bringen. Der Andere hat die Macht den Partner mit seinen Worten oder Handlungen in Wut oder Groll zu versetzen.
Durch Verzeihen verlassen wir die Opferrolle und sind wieder handlungsfähig. Wir bekommen unsere Energie und Aufmerksamkeit zurück, die so lange in dem Gefühl des Grolls steckte.
Ein berühmtes Beispiel: Nelson Mandela war 27 Jahre aus politischen Gründen im Gefängnis. Als er wieder heraus kam und dann auch in der Politik tätig war, begegnete er natürlich denjenigen, die dafür verantwortlich waren, dass er so lange im Gefängnis gewesen ist. Ein Freund, der bei dieser Begegnung dabei war, fragt Nelson Mandela, ob er nicht diejenigen hassen würde. Nelson Mandela antwortete. „Ich war wegen ihnen 27 Jahre meines Lebens im Gefängnis, wenn ich ihnen jetzt nicht vergebe, werde ich mich selbst für den Rest meines Lebens ins Gefängnis bringen, in das Gefängnis von Hass und Rache. Jetzt möchte ich ein freies Leben leben.“
Der Weg zur Vergebung
Der Weg zur Vergebung ist ein längerer Prozess. Erst mal ist es wichtig die Verletzung zu sehen und anzuerkennen. Wir müssen sie auch „öffentlich“ machen, d.h. mehrfach Freunden erzählen oder aufschreiben, damit wir unserer Gefühle klarer werden und den Schmerz besser ertragen können.
Erst wenn wir uns über das Ausmaß im Klaren sind, können wir uns Entscheiden zu vergeben. Dabei ist es wichtig, dass wir in unserem eigenen Tempo zur Vergebung kommen. Eine Aufforderung Anderer ist nicht hilfreich und führt lediglich zur Unterdrückung unserer eigenen Gefühle, aber nicht zur Aufarbeitung dieser Gefühle und zu wirklich tiefer Vergebung.
Ich warne immer vor der Unterdrückung der Gefühle. Zum Einen spürt das Gegenüber, dass die Vergebung nicht vom Herzen kommt. Außerdem haben wir ein Unbewusstes, das unseren Groll an einer anderen Stelle zum Ausdruck bringen wird. Wem ist es noch nicht passiert, dass uns jemand freundlich säuselnd etwas sehr verletzendes um die Ohren wirft. Häufig steckt dahinter unbewusste, unverarbeitete Wut und Groll, die vielleicht nicht mal uns gilt, aber da sie so unbewusst ist, irgendwo ihren Ausdruck findet. Sehr unangenehm für alle Beteiligten.
Ich habe zu diesem Thema oft mit Gurudev Shree Chitrabhanuji diskutiert. Wir waren uns darüber einig, dass man über Groll, Wut, Ärger und ähnliche Gefühle hinaus gehen muss. Über den Weg waren wir uns uneinig. Er bevorzugt den Weg der Meditation und des darüber Schweigens, während ich mehr den westlichen, therapeutischen Weg bevorzuge. Letztlich muss jeder seinen Weg finden, denn nur dann ist er authentisch.
Nur wenn wir auch mit unserem Herzen vergeben können, werden wir frei sein und unsere Energie wieder für uns zurück gewinnen können.
Zum Weiterlesen:
Fred Luskin, Die Kunst zu verzeihen, mgv Verlag, 2003 München.