Gestalttherapie – der Kontaktprozess

05.02.2018

Der Kontaktprozess mit seinen Störungen ist der zentrale Begriff in der Gestalttherapie.

Kontakt entsteht an der Grenze zwischen mir und der Umwelt. Der Kontaktprozess wird in mehrere Phasen unterteilt, um ihn genau zu analysieren und feststellen zu können, in welcher Phase Störungen, d.h. Kontaktunterbrechungen, auftreten.

Als Erläuterung für einen solchen Kontaktprozess wird häufig das Essen verwendet. Ich beschreibe diesen Prozess in vier Phasen und beziehe mich in meinen Ausführungen auf Hans Peter Dreitzel..

Vier Phasen Model

Vorkontakt

In der ersten Phase, dem Vorkontakt, werden wir unruhig, ein Bedürfnis kündigt sich an. Dabei kann das Bedürfnis von innen kommen, wir sind hungrig und haben ein Verlangen nach Essen, oder auch von außen an uns heran getragen werden. Es riecht verführerisch nach Essen und macht uns Appetit.

Im Sozialen Kontext ist der Vorkontakt durch die Begrüßung und Smalltalk gekennzeichnet.

Kontaktaufnahme

Im zweiten Stadium erfolgt die Kontaktaufnahme zu den eigenen Bedürfnissen, sie treten in den Vordergrund. So erkennen wir z.B. dass wir hungrig sind und fühlen uns von den verschiedenen Gerichten angezogen oder abgestoßen. Dabei müssen wir uns orientieren und uns darüber bewusst werden, was wir jetzt essen wollen. In diese Phase fällt auch die Zubereitung des Essens, die eine gewisse Aggression benötigt. Wir müssen die Nahrungsmittel zerschneiden und kochen.

Im sozialen Umgang beginnen wir uns für Themen jenseits des Smalltalks zu interessieren oder wenden uns von ihnen ab. Es ist eine Orientierung über interessante oder uninteressante Themen oder Kontakte. Diese Hinwendung oder Ablehnung der Themen und Kontakte benötigt einen gewissen aggressiven Antrieb.

Aggression wird hier nicht im negativen Sinn verwendet, sondern als notwendiger Antrieb, um eine Entscheidung herbei zu führen oder eine Tätigkeit auszuführen.

Vollkontakt

Die dritte Phase ist der Höhepunkt des Kontakts, wir essen. Das Zerkleinern des Essens benötigt eine Bewegung und Aggression, sonst können wir die Nahrung nicht zerkleinern und schlucken. Wir nehmen das Essen in uns auf. Es gibt keine Unterscheidung zwischen mir und dem Essen mehr.

Im sozialen Bereich sind wir ganz und gar bei unserer Aufgabe oder dem Gespräch. Das Beispiel für den intensivsten, gelungenen Vollkontakt ist ein Orgasmus, wenn das ich und du zu einem verschmilzt.

Nachkontakt

Als letztes folgt der Nachkontakt. Es ist die Phase der Assimilation (das Essen wird verdaut, ein sättigendes Gefühl stellt sich ein). Nur zu diesem Zeitpunkt stellt sich ein sättigendes, zufriedenes Gefühl ein, deshalb ist er so wichtig. Beenden wir eine Mahlzeit ohne Nachkontakt, werden wir nicht ein zufriedenes, sattes Gefühl bekommen.

Im sozialen Bereich bedeutet dies ein Nachspüren der vorangegangenen Begegnung und ein Abschiednehmen von diesem Kontakt. Z.B. der Restaurantbesuch nach einem Konzert, das gemeinsame Bier nach einer langen Bergtour und jede Form der Verabschiedung. Wird beispielsweise nach einem Konzert sofort nach dem letzten Ton Kritik geübt, zerschlägt es die Stimmung und nimmt die Möglichkeit in Ruhe darüber nachzuspüren.

„Ein Kontaktprozess ohne Nachkontakt ist schlimmer als ein Kontaktprozess, der nicht über den Vorkontakt hinauskommt.“ (Dreitzel S. 44)

Dies Kontaktstufen bauen aufeinander auf und sind für ein gesundes Wachstum notwendig. Lassen wir eine oder mehrere Stufen aus, oder brechen den Kontakt vorzeitig ab, ist dies eine Kontaktstörung.

Eine Kontaktunterbrechung bedeutet immer eine unabgeschlossene Gestalt, die nach den Gesetzten der Homöostase das Bedürfnis weckt, abgeschlossen zu werden. Es sind die offenen „Fäden“, aus der Vergangenheit, die wir auf die eine oder andere Weise schließen müssen, damit die Vergangenheit nicht unsere Gegenwart beeinträchtigt.

Es gibt verschiedene Kontaktunterbrechungs-Typen und natürlich ist sie zu jedem Zeitpunkt des Kontakts möglich. Dies wird Thema eines nächsten Blogs sein.

Zum Weiterlesen

Gestalttherapie Teil 1, in  meinem Blog vom 27.11.17

Dreitzel, Hans Peter; Reflexive Sinnlichkeit; EHP, Köln 1992