Hinduismus – Einführung

11.05.2020

Schon länger möchte ich einen Blog über den Hinduismus schreiben, jedoch habe ich mich bisher davor gedrückt, denn den Hinduismus kurz und knapp zu beschreiben, ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Trotzdem möchte ich mich bemühen etwas Klarheit in dieses Philosophie-, Religions- Konglomerat zu bringen. Jeder der sich schon damit befasst hat, darf eine gänzlich andere Meinung dazu haben, auch diese Möglichkeit lässt der Hinduismus zu.

Schlagwörter zum Hinduismus

Häufig fallen uns als erstes zu Indien und dem Hinduismus negative Schlagwörter ein: Kastensystem, Götter, Witwenverbrennung, Mitgift ……

Um zu verstehen, was diese Schlagwörter in der Gesellschaft bedeuten und warum diese sich auch heute noch halten, müssen wir die Gesellschaft und ihre Werte ansehen.

Der Hinduismus ist ein sehr schwierig zu fassendes System und nicht in eine einheitliche Form zu pressen. Es gibt keinen Religionsstifter, noch eine Kirche, kein religiöses Oberhaupt, nicht ein heiliges Buch oder Lehre, nicht ein religiöses Symbol oder ein heiliges Zentrum. Es gibt damit auch keine für alle verbindliche religiöse Autorität.

Es steht Glaube und die Beseeltheit von Steinen oder Bäumen neben dem Glauben an Hochgötter. Die monotheistische Verehrung eines Gottes ist ebenso möglich, wie die polytheistische Anbetung vieler Götter, Dämonen und Geister.

Gelebt wird die Religiosität in ritualistischen (Brahmanismus, Tantrismus), devotionalistischen (hingebungsvoll, Bhakti), spiritualistisch-mystischen (Askese, Yoga, Meditation) und heroistischen Formen. Es gibt sowohl das Gebot des Ahimsa als auch Tieropfer. All diese Religionsformen sind weitgehend friedlich nebeneinander zu finden. Selbst innerhalb einer Familie sind verschiedene religiöse Formen möglich.

In meiner Schwiegerfamilie war der Vater philosophisch religiös, während für meine Schwiegermutter die tägliche Puja, das Ritual, wichtig war.
Dies ist für uns westlich sozialisierte Menschen schwer zu fassen. Noch viel erstaunlicher ist es für uns, dass der Hinduismus trotz der Verschiedenheit so viel Kraft gehabt hat, missionarischen Bestrebungen anderer Weltreligionen zu widerstehen.

Dazu muss man erst einmal die Bedeutung der Familie und Abstammung betrachten

Abstammung – Familie

In Indien hat die Individualität nicht die Bedeutung, wie in der westlichen Welt. Die Familie und die Abstammung ist eine unendlich wichtig.

Fragen der Religionen

Woher komme ich? Wohin gehe ich? Dies sind die wichtigsten Fragen, die in den Religionen gestellt wird.

In der Hindu-Religion ist die soziale Ordnung, die Abstammung und die Familie wesentlich für die Identifikation. Die Abstammung ist meistens schon im Namen zu erkennen. So wurde ich z.B. öfters schon am Zoll darauf angesprochen, dass mein Mann wohl ein Brahmane aus Gujarat ist.

Da man die Abstammung, also Kaste und Religion, durch den Familiennamen erkennt, hält sich das Kastensystem auch, obwohl es 1947 offiziell abgeschafft wurde.

Eine Erlösung ist nur im Familenverbund möglich. Der Vater kann nur ist Moksha eingehen, wenn der Sohn den Holzstoß bei der Verbrennung anzündet. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Geburt eines Sohnes ist so wichtig.

Wer ist ein Hindu

Hierzu möchte ich drei Definitionen vorstellen.

  1. Der Begriff kommt, in grauer Vorzeit, von dem Fluss Indus – als Hindu wurden alle bezeichnet, die entlang und jenseits des Indus lebten.
  2. Laut Hindu Marrigae Act von 1955 ist ein Inder dann ein Hindu, wenn er nicht einer anderen Religion angehört.
  3. Definition von 1979 auf dem Welt-Hindu Konferenz: Wer Gebete (suryapranama und prarthana) spricht, die Bhagavadgita liest, eine persönliche Wunschgottheit (murti) verehrt, die heilige Silbe om verwendet und den Tulsi Strauch anpflanzt, der darf sich Hindu nennen.

Moderne radikal-hinduistische Gruppierungen sind eine neue Entwicklung. Sie haben mit Politik und Macht zu tun.

Eigentlich betreibt von Ausnahmen abgesehen (Hare Krishnas) der Hinduismus keine Missionierung. Dies ist nicht möglich, da die Abstammung so wichtig ist. Daher gib es zwar konvertierte Hindus, aber keine Konversion zum Hinduismus.

Religiöse Identitätsbildung

Kulturelle und religiöse Identitätsbildung, wird durch gemeinsame Mythen, Sprichwörter, Rituale oder Gesten gebildet. Dies führt zu einem Wir-Gefühl einer Kultur oder Religion, d.h. zu einer Grenzziehung nach außen.

Religiöse Identität bedient sich z. b. der Mittel des Glaubensbekenntnisses, der Initiationen. (Im Christentum ist z.B. das Vater Unser und die Taufe Identitätsbildend.) Für die Hindu –Religionen ist es kennzeichnend, dass sie diese Einschränkungen kaum kennen. Sie haben gewissermaßen die Ausgrenzung nicht nötig, weil das Andere immer schon das Eigene ist.

So kann es vorkommen, dass man einen Nepali (Inder) fragt ob er Buddhist oder Hindu ist. Er antwortet mit Ja! Widersprüche und Spannungen werden leichter ausgehalten, als es uns mit unserem trennenden Denken lieb ist.

Ein typischer Satz in Indien ist: „That is all the same“. (Das ist alles das gleiche.) Es ist Lieblingssatz meines Schwiegervaters am Ende eines philosophischen Gesprächs.

Es gibt trotz aller Vielfalt eine überregionale, für viele Schichten verbindliche, normative Gesellschaftsordnung. Brahmanen, die oberste Kaste, haben in vielen Texten gesellschaftliche Regeln auf- und vorgeschrieben. Damit haben sie sich an die Spitze der Gesellschaftsordnung gestellt und wirken so auf „unten“ ein.

Dharma

Da der Begriff des Dharma im Hinduismus etwas anders verstanden wird, als im Buddhismus erläutere ich ihn hier.

Dharma umfasst die natürliche, gesetzte Ordnung, Recht und Sitte im weitesten Sinne. Dharma ist das nach Normen und Regeln ritualisierte Leben. „Entschlossenheit, Zucht, Selbstkontrolle, Respekt fremden Eigentums, Reinheit, Beherrschung der Sinne, Weisheit, Wahrheit, Wutlosigkeit sind die zehn Merkmale des Dharma“.

Dharma ist aber im Hinduismus ein relativer Begriff. Es gibt verschiedene Dharmas, je nach Geschlecht, Alter und Herkunft. Man spricht von regionalen Dharma, großfamiliären Dharma, persönlichen Dharma, Dharma der Frauen, oder Tiere.

„Besser ist es, den eigenen Dharma schlecht, als fremden gut zu vollziehen.“ (Bhagavadgita) Die Entscheidung über den rechten Dharma liegt bei den Alten, Brahmanen und Gelehrten.

Derjenige, der sich seinem Dharma gemäß verhält, kann auf eine bessere Wiedergeburt hoffen.

Im nächsten Blog werde ich auf die einzelnen Richtungen des Hinduismus eingehen und diese in kürze erläutern.

Zum weiterlesen

Michaels Axel, Der Hinduismus, München, 1998