Kontaktunterbrechungen in der Gestalttherapie

05.03.2018

In der Natur des Menschen liegt ein Bedürfnis nach Kontakt und auch nach Rückzug. Es gibt immer wieder Situationen, in denen wir unsere Bedürfnisse übergehen. Dies führt zu einer Kontaktunterbrechung. Damit ist sowohl eine Unterbrechung des Kontakts zu anderen, als auch zu mir selbst (Rückzug) gemeint. Eine Kontaktunterbrechung bedeutet immer eine unabgeschlossene Gestalt, die nach den Gesetzten der Homöostase das Bedürfnis weckt abgeschlossen zu werden.

Es gibt verschiedene Arten der Kontaktunterbrechungen.

Kontaktunterbrechungen

Konfluenz

In der Konfluenz sind die Grenzen zwischen dem Individuum und der Umwelt unklar. Es gibt gesunde Konfluenz. Die Mutter mit ihrem neugeborenen Kind, oder während des Orgasmus beim Beischlaf. Ungesunde Konfluenz dient als Mittel den Kontakt zu verhindern. Partner die in Konfluenz leben, können sich keine eigene Meinung erlauben. Diese Menschen reden oft von „wir“, so dass nicht klar ist, ob sie von sich oder der Welt sprechen.

Es gibt zwei Möglichkeiten in die Konfluenz zu gehen.

Die aktive Konfluenz, in der man versucht den anderen an sich selbst anzupassen. Widerspruch und eine andere Meinung wird nicht ausgehalten.

In der passiven Konfluenz versucht man sich selbst an den anderen anzupassen und verwischt so die eigene Individualität.

Introjektion

In der Introjektion wird die Grenze, die zwischen uns und der Umwelt bestehen sollte in uns hinein verlegt, so dass von uns nicht mehr viel übrig bleibt.

Es ist der Versuch die Umwelt zu vernichten und zu übernehmen, indem man sie ganz in sich aufnimmt. Gesunde Introjektionen sind z.B. Sprach- und Kleidungsgewohnheiten der eigenen Gesellschaft. Pathologisch wird die Introjektion, wenn wir etwas übernehmen, ohne uns darüber Gedanken gemacht zu haben, ob es uns gut tut oder nicht. Hier fallen viele „du darfst nicht…“ Befehle und Familientraditionen der Kindheit hinein, die wir oft zu tiefst verinnerlicht haben. Wir „schlucken“ etwas, obwohl wir es nicht möchten und es uns nicht bekommt.

Die Haltung gegenüber der Umwelt ist resignativ oder willig.

Projektion

Die Projektion ist das Gegenteil der Introjektion. In der Projektion ist ein Gefühl vorhanden, das aber nicht mit sich selbst in Verbindung gebracht. Es wird statt dessen auf andere projiziert.

Das Zitat aus der Bergpredigt (Matthäus 7,3) beschreibt die Projektion: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“

Die Unterscheidung zwischen der inneren und der äußeren Welt ist ungenügend. In der Außenwelt werden jene Teile der eigenen Persönlichkeit gesehen, mit denen wir uns nicht identifizieren wollen.

Träume, vor allem Alpträume sind immer Projektionen. Sprachlich benützt der Projektor die Worte „es“ oder „die anderen“ und meint damit „ich“.

Retroflexion

Retroflexion bedeutet Rückwendung und heißt, dass die Energie, die in den Kontakt fließen sollte, gegen sich selbst gerichtet wird. Die Grenze zwischen Umwelt und Individuum ist stark. Sie wird in das „Ich“ hinein verlegt.

Als Beispiel könnte man sich einen beginnenden Ehestreit vorstellen, in dem ein Partner, statt seine Meinung zu äußern und dem Konflikt zu begegnen, sich mit Migräne ins Bett legen muss. Die Energie, die eigentlich nach außen in den Konflikt hätte fließen müssen, wird nach innen gerichtet und staut sich in Form von Kopfschmerzen.

Selbstverachtung, Minderwertigkeitsgefühle, Selbsthass, Narzissmus, Selbstbeherrschung, Selbstzerstörung, psychosomatische Krankheiten, sekundärer Krankheitsgewinn sind Ausdruck von Retroflexion. Sprachlich werden die Pronomen mich, sich und ähnliche verwendet.

Deflektion

In der Deflektion wird der Kontakt durch Verlangsamung unterbrochen bzw. abgeschwächt. Dies ist durch Themenwechsel, Einschlafen, weitschweifige Monologe, eine übertriebene Ausdrucksweise, ein ständig scherzhafter Ton, fehlender Blickkontakt usw. möglich. Dies dient der Konfliktvermeidung.

Eine gesunde Deflektion ist notwendig um aus der Vielzahl der Kontaktangebote auszuwählen.

Egotismus

Im Egotismus wird die Deflektion noch ausgeweitet, bis die Umwelt nicht mehr wahrgenommen wird. Es ist ein Kreisen um sich selbst, noch stärker als bei der Deflektion. Es ist dass, was umgangsprachlich als Narzisst bezeichnet wird. Andere Menschen werden nicht mehr wahrgenommen und sind höchstens als Publikum für den Egotisten notwendig.

Kontaktstörung im Kontaktprozess

Die verschiedenen Kontaktstörungstypen kommen bevorzugt in den verschiedenen Phasen des Kontaktprozesses vor.

Vorkontakt

Im Vorkontakt tritt besonders häufig die Konfluenz und die Deflektion als Kontaktunterbrechung auf. Die Konfluenz bedeutet, ich habe die gleichen Bedürfnisse, wie die Anderen, dadurch kann kein Konflikt entstehen.“ Mir ist egal in welches Restaurant wir gehen, ich richte mich da ganz nach dir.“ In der Deflektion lenke ich mich von meinem Bedürfnis ab und vermeide dadurch einen Konflikt.

Kontaktaufnahme

Die Kontaktaufnahme wird besonders durch die Projektion und die Deflektion unterbrochen. Durch die Projektion unterstelle ich z.B., dass nichts da ist, was mein Hunger befriedigen könnte. Die Deflektion lenkt wieder vom eigenen Bedürfnis ab.

Vollkontakt

Der Vollkontakt wird durch Retroflexion unterbrochen: „Weil ich nicht erreichen kann, was ich will, oder mich nicht traue meinen Wunsch durch zusetzen bestrafe ich mich selbst.“. Auch die Konfluenz ist eine Unterbrechungsmöglichkeit für den Vollkontakt: „Damit kein Konflikt entsteht, passe ich mich deinem Wunsch an, auch wenn ich mich dafür aufgebe.“ Die Deflektion verhindert auch einen Vollkontakt.

Nachkontakt

Im Nachkontakt tritt gehäuft als Kontaktunterbrechung die Reflexion und Introjektion auf. Die Reaktion der Retroflexion habe ich schon im Vollkontakt beschrieben. Die Introjektion denkt z.B. „Da das, was ich im Vollkontakt bekommen habe nicht zu mir passt, schlucke ich es eben unverdaut runter.“

Zum Weiterlesen:

Dreitzel, Hans Peter; Reflexive Sinnlichkeit; EHP, Köln 1992