Die schizoide – ambivalente Persönlichkeit

04.09.2017

Der Begriff schizoid ist nicht mit dem Krankheitsbild der Schizophrenie zu verwechseln. Die Schizophrenie eine schwer Erkrankung, die erst nach längerem Klinikaufenthalt von erfahrenen Ärzten diagnostiziert werden darf.

Leider werden die Begriffe schizophren, Schizophrenie und ähnliche häufig unbedacht im Alltag verwendet. Wir sollten uns vor diesen Kategorisierungen hüten, da sie uns den freien Blick auf die facettenreiche Persönlichkeit unseres Gegenübers verstellt.

Aus diesem Grund bevorzuge ich zur Beschreibung dieser Persönlichkeit den Begriff ambivalent.

Grundproblem

Das Grundproblem der ambivalenten Persönlichkeit ist die Hingabe, der Impuls zur Selbstbewahrung und Ich-Abgrenzung ist besonders ausgeprägt. Das führt zu einem übermäßigen Streben unabhängig und autark zu sein. Nahe Kontakte werden vermieden und menschliche Beziehungen versachlicht.

Diese Menschen wirken „fern, kühl, distanziert, schwer ansprechbar, unpersönlich bis kalt.“ (Riemann S. 21). Kommen sie uns näher, wenden sie sich plötzlich schroff von uns ab. Dies führt bei Kontakt mit ihnen zu einer Unsicherheit, denn man weiß nicht, was in ihnen vorgeht und wie sie reagieren.

Durch den lockeren Kontakt zur Mitwelt fehlt diesen Menschen die innere Orientierung. Sie wissen nicht, ob das was sie fühlen, wahrnehmen, denken oder sich vorstellen nur in ihnen selbst existiert oder auch draußen. Diese Unsicherheit variiert von Misstrauen und krankhafter Eigenbezüglichkeit, bis zu wahnhaften Wahrnehmungstäuschungen. Um das verunsichernde Emotionale besser in den Griff zu bekommen, entwickeln diese Menschen eine besondere Wahrnehmung, Intellekt und Ratio.

Die Liebe

Da jede Nähe für den ambivalenten Menschen Angst auslösend ist, ist Nähe und Liebe eine große Gefahr. Sie wird mit dem Gefühl der Abhängigkeit und des Ausgeliefert seins verbunden.

Die Angst vor Nähe kann entweder durch unverbindliche Beziehungen kompensiert werden oder dadurch, dass das Gefühl in der Sexualität abspaltet wird. Partnerschaften in zwei Wohnungen oder Wochenendbeziehungen sind auch ein Versuch dieser Menschen die Ängste zu bewältigen. Dieses sich Entziehen führt häufig beim Partner zu einem größeren Wunsch nach Nähe und Bindung, was für den ambivalent reagierenden Menschen wiederum beängstigend ist. Die Ängste und damit die Stärke der Abspaltung von den eigenen Gefühlen kann von leicht bis schwer variieren. Dementsprechend unterschiedlich ist auch die Hingabe- und Beziehungsangst.

Für den ambivalent strukturierten Mensch ist die Liebesfähigkeit am schwersten. Er ist sehr sensibel, wenn es um seine Freiheit und Unabhängigkeit geht. Andererseits ist er für eine unaufdringliche Zuneigung, für Heimat und Geborgenheit dankbar. Dann kann er eine Zuneigung entwickeln, die er aber schlecht zeigen kann.

Angst und Aggression

Angst und Aggression hängen eng zusammen. Als Säugling sind wir Unwohlsein und Angst hilflos ausgeliefert. Unsere erste mögliche Reaktion dagegen ist schreien, und strampeln. Diese archaische Angst ist sehr groß und wird als Existenzbedrohung empfunden.

Es gibt zwei Möglichkeiten mit dieser Angst umzugehen. Entweder Flucht, ein sich zurücknehmen bis zum Todstellreflex, oder Angriff, d.h. Aggression nach außen.

Ein bindungsloser Mensch, wie Menschen mit ambivalenten Verhaltensmustern, erlebt sich nicht geborgen und ungeschützt. Dementsprechend ist die Reaktion archaisch, also rücksichtslose Aggression. Die bremsende Kraft eines ganzheitlichen, emotionalen Erlebens fehlt, ebenso wie die Vorstellung, wie ihre Reaktion auf ihr Gegenüber wirkt. Daher sind ihre Reaktionen oft brüsk und verletzend, ohne dass sie sich dessen bewusst sind.

Für ambivalente Menschen ist es nicht leicht ihre Aggression zu kontrollieren, jedoch leiden nicht sie darunter, sondern ihre Mitmenschen. Für sie ist ihre Reaktion situationsadäquat, für ihre Umwelt jedoch unverständlich und für diese Situation übertrieben.

Aggression kann für ambivalente Menschen auch noch die Bedeutung der Kontaktaufnahme haben, eine Werbung, mit der Mischung aus Angst, Begehren und Verbergen der Gefühle. Aggression zu äußern ist für sie leichter als positive Gefühle und Zuneigung.

Lebensgeschichte

Lebensgeschichtlich wird die Persönlichkeitsentwicklung durch die Konstitution und die Umweltfaktoren beeinflusst. Bei einer ambivalenten Persönlichkeitsentwicklung liegt ein Mangel an Bindung in frühester Kindheit vor.

Dieser Persönlichkeitsentwicklung förderlich ist „eine zart-sensible Anlage, eine große seelische Empfindsamkeit, Labilität und Verwundbarkeit.“ (Riemann S.34) Diese Eigenschaften führen dazu, dass zum Selbstschutz eine Distanz notwendig ist. Diese Distanz kann eine erhöhte Durchlässigkeit erträglich machen. Besonders starke motorische und aggressive Anlagen im Kind, können zu einer Zurückweisung durch die Umwelt (Eltern, Schule, Spielkameraden) führen, die zu einem Sich-zurücknehmen führen können. Hier arbeiten Konstitution und Umwelt zusammen an der Störung.

Die Umweltfaktoren ergeben sich aus der Hilflosigkeit und den Bedürfnissen des Säuglings. Er braucht eine vertrauenserweckende Umgebung mit ausgeglichenen Zeiten der Ruhe und Anregung und emotionale Wärme, um sich öffnen und entwickeln zu können. Ist die Welt für den Säugling dagegen leer, überschwemmt oder unheimlich, zieht er sich zurück, statt sich der Welt zuzuwenden. Besonders leicht treten ambivalente Schädigungen bei ungeliebten oder unerwünschten Kindern, bei früher längerer Trennung (Klinikaufenthalt), bei lieblosen und gleichgültigen Müttern auf.

Dies alles führt zu dem Versuch sich unverletzbar zu machen. Die ambivalente Lösungsmöglichkeit ist gefühlsmäßiger Rückzug, d.h. man legt sich eine glatte Fassade zu und lernt Gefühle zu dosieren und bewusst zu steuern.

Die Generation, die in ihrer frühsten Kindheit Krieg ausgesetzt waren, hatten diese ungeschützten Umweltbedingungen. Bei ihnen treten gehäuft ambivalente Züge aus.

Auch die heutigen Umweltbedingungen, die sich zwar durch hohen Komfort aber gleichzeitig auch durch immer mehr Unsicherheit und zu vielen Reizen auszeichnet, führen zu einem Gefühl der existenziellen Bedrohung, was einer ambivalenten Entwicklung förderlich ist.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Verstand und Gefühl, Rationalität und Emotionalität nicht zu einem einheitlichen Erleben integriert werden kann. Der ambivalent geprägte Mensch versucht eine größtmögliche Unabhängigkeit zu erreichen und kreist damit immer mehr um sich selbst. Diese zunehmende Einsamkeit und Isolierung wirkt angstverstärkend.

Was draußen wahrgenommen wird, wird immer mehr auf sich bezogen. Dies kann zu einem Bedeutungswahn und/oder Beziehungswahn führen. Im schlimmsten Falle wird er zu einem richtigen Wahnsystem ausgebaut. Den daraus resultierenden Ängsten wird im äußersten Fall versucht mit einer Psychose zu entrinnen, man verrückt die reale Welt und flüchtet in eine irreale eigenen Welt, in der man selbst gesund ist und die äußere Welt krank. Die Innenangst wird nach außen als Bedrohung projiziert.

Dies führt dazu, dass ambivalente Menschen Strategien entwickeln, um möglichst nichts mehr an sich heranzulassen, möglichst unberührt und ungerührt zu sein, sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, aber auch nicht mehr wirklich erreichbar zu sein. Das zeigt sich in verschiedener Intensität von kühler Distanz, Arroganz, Unnahbarkeit, bis zur Gefühllosigkeit.

Meist ist in einer Persönlichkeit eine Kombination der verschiedenen von Riemann beschriebenen Strukturen zu finden, wobei oft eine besonders ausgeprägt ist.

Zum Weiterlesen:

Riemann, Fritz: Grundformen der Angst,1982, Ernst Reinhardt Verlag, München

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